Riskmanagement & IKS News
Delegieren ist kein Alles-oder-Nichts-Prinzip.
Wenn man Entscheidungen Personen weiter unten in der Hierarchie überlässt, sollten theoretisch alle zufriedener sein.
- Die Chefs haben mehr Zeit, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die wirklich ihre Aufmerksamkeit verdienen.
- Mittlere Führungskräfte und Arbeitnehmer geniessen ein grösseres Gefühl der Autonomie.
- Die Organisation profitiert von einer schnelleren Entscheidungsfindung durch Mitarbeiter, die besser über die jeweilige Angelegenheit informiert sind.
In der Praxis ist die Delegation jedoch ein Minenfeld.
Manche Chefs versuchen gar nicht erst, zu delegieren. Vielleicht misstrauen sie ihren Untergebenen oder wollen mehr Kontrolle.
Dann gibt es die Manager, die mehr Arbeit auf sich nehmen, als sie sollten, um ihre Teams vor Überlastung zu schützen.
Andere Manager delegieren zwar, aber aus den falschen Gründen.
Studien deuten darauf hin, dass Menschen Entscheidungen eher delegieren, wenn
- ihnen der Entscheid schwerfällt,
- die Konsequenzen andere betreffen und
- sie vermeiden wollen, für ein schlechtes Ergebnis verantwortlich gemacht zu werden.
In einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 von Mary Steffel von der Northeastern University und ihren Co-Autoren wurde Freiwilligen gesagt, dass sie auf einer Konferenz Hotelzimmer buchen müssten – entweder für sich selbst oder für ihren Chef. Sie wurden dann gefragt, ob sie die Zimmer selbst reservieren oder die Aufgabe an den ortsansässigen Filialleiter delegieren würden.
Wenn sie sich entschieden haben, für den Chef zu buchen und die Auswahl der Hotels schlecht war, überliessen die Befragten die Aufgabe eher dem (somit glücklosen) Filialleiter.
Eine neue Studie von Victor Maas und Bei Shi von der Amsterdam Business School bestätigt dieses düstere Bild der menschlichen Motivation.
Die grosse Masse der Führungskräfte befindet sich in einer Grauzone. Sie haben vielleicht die gute Absicht, Entscheidungen anderen zu überlassen, aber es fällt ihnen schwer, dies zu tun.
Überlegen Sie selbst:
- Was ist, wenn Sie Ihren Teammitgliedern vertrauen, dann aber feststellen, dass sie Entscheidungen treffen, mit denen Sie überhaupt nicht einverstanden sind?
- Was ist, wenn Sie einige Entscheidungen abgeben wollen, aber wissen, dass Ihre eigenen Chefs Sie persönlich dafür verantwortlich machen werden?
Deshalb ist es nicht nur hilfreich zu wissen, wer was macht, sondern auch, welche Entscheidungen delegiert werden können und welche nicht.
Jeff Bezos hat dazu bei Amazon eine Unterscheidung zwischen zwei Typen von Entscheidungen eingeführt.
- Typ 1 («one-way-doors»):
Entscheidungen, die wichtig und unumkehrbar sind. - Typ 2 («two-way-doors»), Entscheidungen, die rückgängig gemacht werden können, wenn sie sich nicht bewähren.
Typ-1-Entscheidungen rechtfertigen langsame, beratende Prozesse.
Typ-2-Entscheidungen sollten schnell von kleineren Gruppen getroffen werden.
Wenn man eine Entscheidungstheorie hat, kann man besser entscheiden, was delegiert werden soll, und die Wahrscheinlichkeit, dass man eine Delegation bedauert, wird verringert.
Ein abgehobener Chef kann ebenso demotivierend sein wie ein Mikromanager; man muss über Entscheidungen informiert bleiben und sie gelegentlich auch übersteuern (können).
Fazit: Wenn Sie delegieren, stellen Sie sich darauf ein, dass Sie «nur» die zweitbeste Lösung erhalten. Wenn Sie nicht mit der zweitbesten Lösung leben können, besser nicht delegieren.
Delegieren bedeutet nicht «nach mir die Sintflut». Man muss über Entscheidungen informiert bleiben und sie gelegentlich auch übersteuern (können).
Wenn ein gewohnheitsmässiger Mikromanager Sie unerwartet bittet, die Führung bei einer Aufgabe zu übernehmen, seien Sie auf der Hut. Evtl. will er vermeiden, selbst zu entscheiden, um dann für das Ergebnis verantwortlich gemacht zu werden.
Quellen: “How to master the art of delegation» The Economist 14.12.2023