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Riskmanagement & IKS News

Der Mensch als Risiko im Riskmanagement-Prozess

Persönliche Risikowahrnehmung und Bauchgefühl sind kontraproduktiv in einem soliden RM-Prozess.

Denken Sie an einen medizinischen Eingriff. Dazu zwei Aussagen:

  1. «Die Operation ist zu 95 % erfolgreich.»
  2. «Bei der Operation leiden 5 von 100 Menschen an Folgeschäden, 1 Person stirbt.»

Beide Aussagen sind gleichwertig. Und trotzdem bevorzugen Sie eine davon. Welche? Ihre Antwort widerspiegelt Ihre persönliche Risikowahrnehmung.

Die persönliche Risikowahrnehmung hat zwei Komponenten:
(a) Die persönliche Prägung und
(b) die eigene Betroffenheit und Verantwortlichkeit.

Persönliche Prägung

Die persönliche Prägung bezieht sich auf die individuelle Entwicklung und Formung einer Person durch verschiedene Einflüsse wie Erfahrungen, Erziehung, Umgebung und persönliche Entscheidungen. Es ist die Gesamtheit dieser Einflüsse, die die Risikowahrnehmung formen.

Einen Hinweis auf die Auswirkungen Ihrer persönlichen Prägung erhalten Sie, wenn Sie die folgenden Fragen beantworten:

  • Was nehme ich als Risiko wahr, wie bedrohlich finde ich das?
  • Wie risikofreudig / risikoavers bin ich?
  • Wie weit denke ich die Konsequenzen und Zusammenhänge?
  • Wo schaue ich lieber nicht hin; wie ehrlich bin ich mit mir selbst?

Die Fragen lassen unschwer erkennen, dass die persönliche Prägung zu einem Problem im Risikomanagement-Prozess wird, wenn wir es zulassen, dass dadurch unser rationales Denken und sorgfältiges Überlegen übersteuert wird.

Eigene Betroffenheit und Verantwortlichkeit

Die eigene Betroffenheit beschreibt den persönlichen Bezug oder Einfluss, den eine Person in einer bestimmten Situation, Frage oder Angelegenheit hat.

  • Betrifft das meinen Verantwortungsbereich?
  • Wer ist verantwortlich für Ursachen und Lösungen?
  • Kann ich den schleichenden Wandel aufhalten?
  • Ist meine Generation davon betroffen?

Die eigene Betroffenheit oder Verantwortlichkeit kann zu einem Problem für den Risikomanagement-Prozess werden, weil wir nicht gerne gegen unsere anthropologischen Schutzmechanismen ankämpfen.

Ein Vogel-Strauss-Verhalten oder die Geringschätzung von Nichterlebtem mündet im besten Fall in Entscheidungsabstinenz und im schlechtesten Fall in einem Bauchentscheid.

Dabei wäre sorgfältige Überlegung und Analyse angezeigt, auch wenn wir (oder gerade dann) uns dazu überwinden müssen.

Die Folge ist eine (zu hohe) Disparität in der Risikoeinschätzung, wenn sich alle, die ein Risiko beschreiben, bewerten oder behandeln müssen, an ihrer persönlichen Prägung und der eigenen Betroffenheit orientieren.

Im Extremfall verunmöglichen die persönlichen Risikowahrnehmungen der involvierten Personen einen kohärenten und effektiven Riskmanagement-Prozess.

Das wird noch dadurch verstärkt, dass die meisten Menschen sowieso mehr oder weniger intuitiv im Umgang mit Risiken handeln, obwohl die Intuition ein schlechter Ratgeber ist, denn

erstens sind wir überoptimistisch, denn wir überschätzen oft unsere Fähigkeiten und unser Können sowie unseren Einfluss auf Zukünftiges.

zweitens sind wir stur und weichen nicht gerne von früheren Entscheiden ab.

drittens bevorzugen wir Dinge, die wir besser zu kennen glauben und sind wenig bereit, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

viertens haben wir mehr Angst vor dem Scheitern, selbst wenn die Chancen zu gewinnen gleich gross sind, wie die zu verlieren.

fünftens verschieben wir laufend wichtige Entscheide und kümmern uns lieber um Details.

sechstens handeln wir oft widersinnig aus Bedauern über eine verpasste Chance und rennen dieser Chance hinterher.

siebtens nehmen wir erste Begegnungen und Erfahrungen als zu wichtig – der sog. Anker-Effekt – und sind später kaum bereit, sie zu hinterfragen.

Fazit: Die persönliche Risikowahrnehmung hat einen wesentlichen Einfluss darauf, welche Risiken im Unternehmen thematisiert, wie diese beschrieben, bewertet und behandelt werden.

Das einzige Rezept für eine Dämpfung der persönlichen Risikowahrnehmung ist Rationalität. Ein Lösungsansatz ist, sein Verhalten zu überlisten, indem Sie sich selbst ver­bindliche, transparente und verlässliche Verhaltensweisen vorgeben. Diese sollten Sie in einer Phase mit wenig persönlichem Risiko beschliessen, damit Sie dieses Verhalten in der Phase der Irrationalität abrufen können.

Neben der Anpassung des persönlichen Verhaltens gibt es zwei bewährte Methoden oder Ansätze, um Gruppenentscheide zu disziplinieren.

  1. Die unabhängige Meinungen der Gruppenmitglieder anonymisieren und über mehrere Iterationen validieren (sog. Delphi-Methode).
  2. Die Risikobeschreibungen und -bewertungen unterschiedlich – basierend auf der Expertise oder der Zuverlässigkeit der Einschätzung der beteiligten Personen – gewichten (sog. Expert Elicitation oder Experten-Kalibrierung)

Quellen:

«Die Rolle des Menschen in der Risikobewertung» Vortrag von Bettina Spagnolo, Head Risk-Management & Compliance der Flughafen Zürich AG anlässlich der Risk Management & IKS-Konferenz vom 16. November 2023

«Freud, finance and folly: Human intuition is a bad guide to handling risk» The Economist, 24 Jan 2004

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